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Der Zugang zum Gewerbe mit Leistungen des öffentlichen Personennahverkehrs
(ÖPNV) ist in der Regel von der Gewährung staatlicher Kostendeckungsbeiträge in
jedem Einzelfall abhängig, weil die flächendeckende Gewährung solcher Beiträge
eine Konkurrenz ohne Beteiligung daran unmöglich macht. Damit unterliegt die
Versagung staatlicher Kostendeckungsbeiträge im Einzelfall den grundrechtlichen
Anforderungen des Art. 12 GG. Sie bedarf der Grundlage in einem inhaltlich
bestimmten Gesetz und der Rechtfertigung durch ein übergeordnetes Interesse des
Gemeinwohls. Seit dem Inkrafttreten der VO (EG) 1370/2007 am 3.12.2009 sind
solche Kostendeckungsbeiträge grundsätzlich nur noch im Rahmen öffentlicher
Dienstleistungsaufträge zulässig. Durch die damit verbundene Verweisung auf das
Recht öffentlicher Aufträge und die dort enthaltene Voraussetzung eines
bestimmten Vergabeverfahrens ist zwar die Zurücksetzung eines Bewerbers
zugunsten eines Konkurrenten mit Bezug auf die ausgeschriebene Leistung
gerechtfertigt, soweit nach diesem Recht derjenige Bieter den Zuschlag erhält,
der diese Leistung besser und/oder preis- bezw. kostengünstiger erbringt.
Dagegen haben Unternehmer nach diesem Recht in der Regel keinen Anspruch auf
Vergabe von Aufträgen über Leistungen, die von den Merkmalen der Ausschreibung
abweichen. Soweit danach Gewerbefreiheit durch diese Merkmale beschränkt ist,
bedürfen diese selbst nach Art. 12 GG der inhaltlichen Bestimmtheit und einer
Rechtfertigung durch ein übergeordnetes Interesse des Allgemeinwohls. Denn es
steht keineswegs fest, daß die ausgeschriebenen Leistungen im öffentlichen
Verkehrsinteresse überhaupt erforderlich sind oder daß von der Ausschreibung
abweichende Leistungen diesen Interessen nicht besser entsprechen. Daraus
folgt, daß die Verhinderung der Verkehrsleistung eines Unternehmers, die von
Ausschreibungsbedingungen abweicht aber kein übergeordnetes Interesse des
Gemeinwohls beeinträchtigt, mit der Gewerbefreiheit des Art. 12 GG unvereinbar
ist.
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Nun enthält weder das allgemeine Recht für öffentliche Dienstleistungsaufträge
noch die VO 1370 noch das Personenbeförderungsgesetz (PBefG - seit 1.1.2014
gültig in der Fassung vom 14. Dezember 2013) justiziable Maßgaben für die
inhaltliche Gestaltung der Ausschreibungen für Leistungen des ÖPNV, die über
Einzelthemen wie Tariftreue oder Barrierefreiheit hinausgehen. Wohl aber sind
solche Maßgaben in dem im PBefG normierten Recht des für ÖPNV-Leistungen
geltenden Genehmigungsvorbehalts enthalten. Dieser Vorbehalt geht als
Einschränkung der Gewerbefreiheit der Ausschreibung nicht nur historisch
sondern rechtslogisch vor. Auch die Versagung dieser Genehmigung schränkt die
Gewerbefreiheit ein und bedarf der Grundlage in einem inhaltlich bestimmten
und durch ein überwiegendes Interesse des Gemeinwohls gerechtfertigten Gesetz.
Dementsprechend darf die Genehmigung einer ÖPNV-Leistung nach § 13 Abs. 2 Satz
1 Nr. 3 PBefG nur versagt werden, wenn ihr ein öffentliches Verkehrsinteresse
entgegensteht. Zwar genügt dieses Kriterium nicht den verfassungsrechtlichen
Bestimmtheits-Anforderungen an gesetzliche Grundrechtsbeschränkungen, und
aureichende zusätzliche Kriterien finden sich auch nicht anderwärts im Recht
des ÖPNV. Immerhin hat eine umfangreiche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte
das „öffentliche Verkehrsinteresse“ im Sinne des PBefG erheblich konkretisiert.
Sie sieht darin eine verfassungskonforme Auslegung, die den
Bestimmtheitsanforderungen genügt.
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Der Zuschlag für eine öffentliche Dienstleistung des ÖPNV ersetzt nicht die
Genehmigung. Er bindet auch ebenso wenig wie die Ausschreibungsbedingungen die
Entscheidung der Genehmigungsbehörde, soweit diese ihrerseits an das Grundrecht
der Gewerbefreiheit und die verfassungskonforme Auslegung des Gesetzesbegriffs
der öffentlichen Verkehrsinteressen gebunden ist. Das ist zwar in der
rechtswissenschaftlichen Literatur streitig, ergibt sich aber bereits aus einer
nach Auffassung des Verfassers zutreffenden Auslegung des PBefG und der VO 1370
(diese Auffassung wird im Ergebnis von dem 2013 im Beck-Verlag erschienenen
Kommentar der u.a. durch ihre jahrzehntelange Arbeit auf dem Gebiet des
ÖPNV-Rechts bekannten Rechtsanwälte Sellmann und Zuck geteilt). Einer anderen
Auffassung würde das Grundrecht der Gewerbefreiheit entgegenstehen, weil die im
PBefG vorbehaltene Genehmigung seinem Geltungsbereich weder durch Europarecht
noch durch deutsches Recht wirksam entzogen ist.
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Das kumulative Nebeneinander des Ausschreibungs- und des Genehmigungsvorbehalts
wirft zwar Probleme der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den vor allem
gerichtlichen Kontrollinstanzen für öffentliche Aufträge und für Genehmigungen
und auch der Bestimmung der für beide geltenden Entscheidungsmaßgaben auf. Diese
Probleme dürfen aber nicht zur Verkürzung des Rechtsschutzes der Anbieter von
ÖPNV-Leistungen führen, sondern müssen im Sinne des rechtsstaatlichen Gebots
effektiven Rechtsschutzes gelöst werden.
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